Mittwoch, 18. Dezember 2013

Alle Neune



Verehrter Leser, ein Wort der Warnung: Der 0 ist nicht zu trauen!
Die 0 ist eine Ziffer ohne Inhalt – die nihilistische 0, durch und durch diabolisch und somit die größte Blasphemie seit es angeknabberte Äpfel gibt! Ihre Geburtsstunde hatte diese niederträchtige Ziffer im siebten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Der indische Gelehrte Brahmagupta wurde damals, so erzählt es die Legende, von seinem Hawara gefragt:

Hearst Brahmagupta, wos is’n leicht Unendlichkeit, hah?

Der Gelehrte neigte seinen Kopf zur Seite. Sein Blick fixierte einen weit entfernten Punkt am Horizont. Mit seiner Linken reichte er nach den Sternen. So hielt er inne, bis dicker Qualm aus seinen Nüstern drang. Dann legte er seine Opiumpfeife zur Seite und antwortete:

Dividiert man irgendeine Zahl durch das Nichts, so wird Unendlichkeit.

Die 0 war geboren, mit ihr die moderne Algebra und noch heute verfluchen Schüler diesen Augenblick. Hinterlistig, wie die 0 nun mal ist, wollte sie sich durch die Hintertür nach Europa schleichen. Zunächst waren arabische Vertreter für Kamelhaarperücken auf ihren Businesstrips durch Indien so beeindruckt von der Ziffer, dass sie die 0 kurzerhand mit nach Hause brachten, und sogleich mit ihr zu rechnen begannen - was für ein Spaß! Und der Spaß war ansteckend, drängte, in Koffern, Reisetaschen und Körperöffnungen versteckt, nach Europa. Im Mittelalter kam es schließlich zum Showdown der zwei großen Lehren. In der rechten Ecke der Herausforderer, die Algoristen. Arabische Zahlenkünstler, Verfechter der arabisch-indischen Zahlenleere mit ihrer geheimen Geheimwaffe - der 0. In der linken Ecke der Champion aus Europa, mit dem, seit Jahrhunderten unangefochtenen, römischen Zahlensystem – die Abakisten! Der Kampf ging über viele Runden. Im 13. Jahrhundert ergaben sich schließlich die ignoranten Gelehrten der mysteriösen Macht der 0. Erst im 17. Jahrhundert war die gerechtfertigte Furcht auch bei Max und Martha Mustermann, Otto Normalverbraucher, Joe Average, Mr. & Mrs. John Taxpayer und all ihren Freunden verschwunden.

Brahmagupta - Schlaubi Schlumpf seiner Zeit

Doch worauf will der hier Schreibende hinaus? Die 0 ist inhaltslos, auf das Abscheulichste bösartig und darum entschieden abzulehnen. Ihr gegenüber soll die gesegnete Ziffer 9 gestellt werden. Die 9 ist ein Vielfaches der heiligen Zahl 3, die für die Dreifaltigkeit aus Gott Vater, Jesus Christus, seinem eingeborenen Sohn, und dem Heiligen Geist steht. Wahrlich ich sage euch, hinfort mit den ketzerischen Top 10 Listen, denn sie sind durchzogen von teuflischer Falschheit und gieren nach den Seelen der verehrten Leser. Doch fürchtet euch nicht! Mit großem Gaudium verkünde ich euch, dass der Stein des Anstoßes nur unbefleckte Top 9 Listen gebären wird. Hosanna! Hosanna!
 


Der Stein des Anstoßes präsentiert:
Alle Neune: 9 Dinge, die man bei einem Vorstellungsgespräch NICHT tun sollte
(sadly inspired by true events)

1) Sich über den Beziehungsstand der MitarbeiterInnen erkundigen. Man ist ja gerade auf der Suche nach etwas Neuem…

2) Gleich das Handy auf den Tisch legen und dann den Anruf vom Kumpel annehmen.

3) Auf die Frage nach den Hobbys antworten: „Ich spiele gerne Glücksspiele an Automaten.“

4) Ständig auf die Uhr starren und dabei genüsslich gähnen.

5) Sich während dem Vorstellungsgespräch eine Zigarette anzünden, weil man gerade darauf Lust hat.

6) Fragen, ob man wohl mit einem Kollegen zusammenarbeitet, damit dann immer jemand zum Tratschen da ist. Alleine wird einem so schnell fad…

7) Keine Unterwäsche tragen.*

8) Klarstellen, dass man gleich ab dem nächsten Montag verfügbar ist, aber ab Dienstag unbedingt zwei Wochen Urlaub braucht.


Und ein Trommelwirbel für die abschließende Nummer neun:


9) Auf die Frage, warum man sich gerade bei dieser Firma bewirbt, antworten: „Sonst hat man mich nirgendwo genommen.“



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 *Obwohl…darüber lässt sich streiten…

Freitag, 13. Dezember 2013

Trendsetter




Herr und Frau Leser!
„Die Jugend liebt heutzutage den Luxus. Sie hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte. Die jungen Leute stehen nicht mehr auf, wenn Ältere das Zimmer betreten. Sie widersprechen ihren Eltern, schwadronieren in der Gesellschaft, verschlingen bei Tisch die Süßspeisen, legen die Beine übereinander und tyrannisieren ihre Lehrer.“
Punks, Emos, Krocha, wie soll das nur enden? Früher war das noch anders! Oder vielleicht auch nicht. Denn dieser Ausspruch stammt von einem Mann, der einmal im alten Griechenland gelebt hat, den die Geschichte als Urvater der abendländischen Philosophie und „Meister aller Meister“ (Zitat Michel de Montaigne) in Erinnerung behielt. Dieser Mann war der weißbärtige Sokrates.* Selbiger wurde zum Tode verurteilt, weil er angeblich einen verderbenden Einfluss auf die Jugend hatte. Es ist die blanke Ironie – Alanis Morissette kann ein Lied davon singen…


Freilich war Sokrates nicht der Erste, der sich wegen aufmüpfiger Jungspunde die Haare raufen musste. Vor etwa dreitausend Jahren sitzt ein glatzköpfiger Babylonier genauso erzürnt wie traurig in einem Winckerl und meißelt das Folgende in sein Tagebuch:
„Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein, wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur aufrecht zu erhalten.
Potzblitz schießt es bei diesen Worten durch meine verkalkenden Hirnwindungen. Ja natürlich ist das so! Natürlich will die Jugend nicht so sein wie ihre Eltern. Nein, niemals nicht! Denn die Kultur und Lebensweise der Eltern ist schuld, dass es keine Torte zum Frühstück gibt, man ins Bett muss, obwohl man noch gar nicht müde ist, und überhaupt und sowieso!


 Nun ist Sprache ein wesentlicher Bestandteil unserer Kultur. Darum ist es selbstverständlich, dass die Jungen sich auch in diesem Bereich abgrenzen und sich ihre eigene Sprache basteln. Was einmal flott war, wurde irgendwann hip, dann fetzig, krass oder cool oder endgeil… Wenn aus Jungendlichen (mehr oder weniger) vernünftige Erwachsene werden, mag die eine oder andere Flause aus dem Kopf geprügelt worden sein, ihre affenstarke Sprache verfolgt sie aber immer noch. Darum werden mich meine Kinder auch entsetzt ansehen, wenn ich meine old school Mucke leider geil finde.


Zu meiner Zeit war „schwul“ noch ein scheußliches Schimpfwort. Im einundzwanzigsten Jahrhundert beginnen die Vorurteile gegenüber Homosexualität gaaaaanz langsam zu bröckeln. Das Outing eines Politikers, Sportlers oder Schauspielers glich früher dem sozialen Suizid. Heute wird diesen Menschen applaudiert. Wie mutig die sind! Die stehen dazu, großartig! Die Konnotation des Wortes „schwul“(also das, was neben der eigentlichen Bedeutung des Wortes [= zum eigenen Geschlecht neigend] unweigerlich mitschwingt) beginnt sich zu verändern. Es kommt zum Wandel von der negativen zur positiven Konnotation und „schwul“ wird irgendwann als Schimpfwort ausgedient haben.


 Wir fassen zusammen:
1) Jugendliche wollen sich von Erwachsenen abgrenzen – auch in ihrer Verwendung von Sprache.
2) Die Konnotation von Wörtern ändert sich und ist (unter anderem) vom Alter des Sprachanwenders abhängig.

Das führt  nun zu der grandiosen Prognose:
1) „Sozial“ und „nachhaltig“ sind heute positiv konnotierte Wörter. Die zukünftigen Jugendlichen werden sie, angetrieben vom Wunsch nach Abgrenzung und Konfrontation, negativ konnotieren.
Beispiele:
Peter hat Susi betrogen – so ein soziales Arschloch!
Das Essen meiner Mutter schmeckt beschissen. Sie kocht total nachhaltig.
2) „Pädophil“ ist heute negativ konnotiert. Die negative Konnotation wird sich in Zukunft nicht ändern. Die zukünftigen Jugendlichen werden „pädophil“, angetrieben vom Wunsch nach Abgrenzung und Konfrontation, positiv konnotieren.
Beispiele:
Dein Vater spielt mit dir Games? Der ist ja voll pädophil!
Mein pädophiler Kumpel hat mich zu einer Party eingeladen.


Und so reiht sich der hier Schreibende ein in den Kreis der großen Propheten, mein pädophiler Leser, wohl wissend, dass in vielen Jahren die Welt voller Bewunderung feststellen wird: Der Stein des Anstoßes war seiner Zeit wieder einmal weit voraus.

So long und bis zum nächsten Mal,
R.W.

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*Disclaimer: Tatsächlich wurde das wahrscheinlich nie in genau dieser Art und Weise von Sokrates gesagt. Uns sind keine seiner Schriften überliefert. Alles, was wir über ihn wissen, stammt aus Texten seiner Schüler Platon und Xenophon. Doch die beiden machen so einen netten Eindruck, da glauben wir ihnen an dieser Stelle ganz einfach mal.