Mittwoch, 18. Juni 2014

Locus Amoenus



Verehrter Leser männlicher wie weiblicher Bauart, es ist eine große Schande! Früher war es noch so einfach. Da setzte man sich irgendwo hin; auf einen Stein oder unter einen Baum oder in eine Tonne. Dort blieb man sitzen, bei Wind und Wetter, Stunden, Tage; der Kopf wurde auf den Arm gestützt, die Welt drehte sich ohne einen weiter, hielt aber genau in diesem Moment inne, als der Kopf wieder erhoben wurde, man tief Luft holte und das Universum mit solch Weisheiten wie „Gefahrlos lässt sich Gefahr niemals überwinden…“* beglückte. Ja, früher war das leicht. Kein Wunder, dass es heute nur mehr wenige Universalgelehrte gibt! Der Grund dafür ist nicht unser diabolisches Wirtschaftssystem, das jeden Tag eintausend Facharbeiterseelen verschlingen muss, um reibungslos funktionieren zu können. Nein! Der Grund ist die vermehrte Abwesenheit von Tonnen (alle voll mit Müll), Bäumen (überall nur mehr Parkplätze) und Steinen (Exekutivorgane vertreiben alle Herumlungerer) in der näheren Lebensumgebung der Menschen.

Diogenes von Sinope (405 v. Chr. – ca. 320 v. Chr.) wohnte in einer Tonne und lebte die kynistische Bedürfnislosigkeit. Er war es, der zu Alexander dem Großen sagte „Geh mir aus der Sonne!“

Darüber hinaus: Wie soll denn der Kopf seine freie Denkarbeit verrichten, wenn er von allen Seiten belagert wird? Bei dem ganzen Straßenlärm, Kindergeschrei, wenn das Mobiltelefon quiekt, der Nachbar von Ikea retour ist und seinen neuen Smørrebrød zusammen hämmert, die Einsatzfahrzeuge mit Sirenengehall Facharbeiter zur nächstgelegenen Seelenextraktionsstelle bringen (damit der Aktienkurs nicht fällt!) – überall Lärm und Staub und Elektrosmog, bei allen Körperöffnungen kriecht es schon herein; oh weh! Da bräuchte man dringendst einen Ort der absoluten Glückseligkeit, einen locus amoenus**, liebliche Erquickung, damit die Ideen wieder sprießen können! Die Lösung derlei Probleme ist eigentlich furchtbar einfach, wenn man es ein Mal nur für fünf Sekunden schaffen würde, seine verdammten Drecksfinger von Facebook/Twitter/Instagram/Outlook/GMX/G-Mail/Youtube/Youporn/blablabla zu lassen und einen gaaanz einfachen Gedankengang zu flanieren: Was brauchen Dinge, damit sie sprießen können? Dünger! Was ist der beste Dünger? Scheiße! Was ist demnach der einzig verbliebene locus amoenus unserer postpostpost10-strukturalistischen Zeit? Ein richtig beschissener!


In einer handelsüblichen Haushaltstoilette, da ist diese armselige Welt noch halbwegs in Ordnung. Hier die drei wissenschaftlichen Gründe dafür***:

+ Die Abgeschlossenheit des Raumes oder beim Kacken bleibt das Fenster zu. Was ursprünglich auf schamgefühlstechnischen Gründen basierte, hat weitreichende Folgen. Das geschlossene Fenster verhindert nicht nur das Nachdraußendringen der eigenen Arbeitsgeräusche, sondern auch das Eindringen jeglicher, aus der Umwelt geborenen, Kakophonien. Das sind die perfekten Voraussetzungen für einen selig ruhigen Ort, der parallel zum hektischen Alltagsleben existieren kann.**** Das bringt uns zum nächsten Punkt.

+ Konzentration auf das Innere Heiligtum des Ichs. Auch wenn uns die hollywoodsche Schaumindustrie weismachen will, dass die Damenwelt immer in Rudeln aus zumindest zwei Identitäten die Toilette aufsucht, kackt in der Realität ein jeder Mensch alleine. Bei der Darmentleerung ist man sich selbst am nächsten - der Stuhlgang ist persönlicher als der Gang zum Schafott. Nirgendwo ist man dem innersten Ich näher, als auf der porzellanenen Schale. Auf dieser Schale findet das Ich wieder zum Ich. Nicht umsonst sagt man im Englischen „Just wipe your own ass and shut your mouth“***** – in seiner eremitischen Abgeschiedenheit erkennt das Ich die Verantwortung sich selbst gegenüber. Ohne die physische Barriere der Toilettenwände kommt es regelmäßig zur spontanen Absonderung von Wortmeldungen prekärer Natur (in Fachkreisen spricht man auch von Wortschiss oder verbalem Durchfall). Auf der Toilette muss das, was das Ich kommuniziert, aber zuallererst zum Eigenen in Korrelation gesetzt werden. Denn durch die totale Abschottung von der Außenwelt bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich voll und ganz auf die hauseigenen Funktionen von Körper und Geist zu konzentrieren. Da uns dieser Konzentrationsprozess über die Jahrhunderte gänzlich fremd geworden ist, manifestiert er sich heute oftmals auf eine schmerzliche Art und Weise. Das trifft ganz besonders zu, wenn man zuvor scharf gegessen hat, denn die Schärfe des Essens, bestimmt gewissermaßen die Schärfe des Geistes (tatsächlich liegt eine direkte Proportionalität vor), da physischer Schmerz die Konzentrationsfähigkeit steigert. Die Verbindung von Körper und Geist führt zum dritten Punkt.

+ Wechselbeziehung der Tätigkeiten führt zu Gegenseitigkeit der Produkte. Machen wir uns nichts vor! Umfragen bestätigen, dass in  87,460323° Prozent aller Fälle, die Toilette nur zur Ausscheidung von Kot aufgesucht wird (ob dieses Aufsuchen spontan eintritt oder im Vorhinein penibelst geplant wird, wurde nicht untersucht). Kot, also ein Sammelsurium aus Stoffen, die der Körper nicht mehr benötigt, wird abgestoßen und in die ewigen Weiten der Kanalisation abgepumpt. Dort trifft er sich dann mit seinen Verwandten zum Plaudern. Ja, das dürfte allgemein bekannt sein. Aber nun tritt etwas in Kraft, das der hier Schreibende als Wechselbeziehung der Tätigkeiten erkannt hat. Denn der Unterleib ist nicht der einzige, der auf der Toilette aktiv wird. Angeregt durch die Darmarbeit, beginnt es auch im Kopf zu knistern. Die zwei entgegengesetzten Pole des Körpers (obwohl man bei manchen Menschen den Eindruck hat, dass Kopf und Dickdarm gleichgeschalten sind) lassen eine Achse aus reiner Energie entstehen. Nun sind unsere gebrechlichen Leiber einem Energieoutput dieser Größenordnung nicht gewachsen und reagieren darauf mit der natürlichen Methode der Abstoßung. Am südlichen Pol wird also Kot abgestoßen, am nördlichen Pol scheidet der Kopf aber Ideen aus! Auch sie verflüchtigen sich in der Kanalisation der ätherischen Weltseele, wenn sie nicht schnell genug festgehalten werden. Du magst an dieser Stelle einwerfen, verehrter Leser, dass es sich bei Kot wohl nur um ein Abfallprodukt handelt, während Ideen zur Reifung unserer glorreichen Zivilisation beitragen. Nun ja. Man kann im Kot einfach nur die Scheiße sehen, die sie ist. Dabei spricht man ihm aber die Nützlichkeit als Dünger, Baustoffmittel und Brennstoff ab. Und was die Glorie unserer Zivilisation angeht…da sah es auch schon einmal besser aus. Ergo gibt es auch bei den Ideen gute und einfach nur beschissene.

Mit dieser ultimativen Weisheit beende ich den heutigen Stein des Anstoßes, verziehe mich zurück in meine Tonne und verspreche weiterhin, ganz fest an dich zu denken, verehrter Leser, wenn ich an meinem ganz persönlichen locus amoenus ein Geschäft verrichte.******


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*Sokrates. Der segensreiche Herr zeigt sich auch für Klassiker wie „Bekommst du eine gute Frau, wirst du glücklich werden; bekommst du eine schlechte, wirst  du Philosoph werden.“ verantwortlich. Seine Frau hätte ich gerne kennen gelernt…

**lat. lieblicher Ort; eine idealisierte Naturlandschaft, die vor allem in der Kunst der Antike und des Mittelalters als Motiv gebraucht wird.

***Natürlich sind es drei. Aufmerksame Leser wissen auch warum.

****Zusätzlich ergibt sich durch die Geschlossenheit des Raums eine gar vortreffliche Akustik! Und jeder weiß, dass Musik die Hirnsynapsen anregt - auch wenn oder vielleicht gerade weil es sich hier im speziellen Fall um eher experimentelle Klangkonstruktionen handelt.

*****Lässt sich sinngemäß mit „Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß“ übersetzen. Beachte auch das Wischen des Pos in Verbindung mit Kreativitätstheorien. Es scheint, als würde das Ausführen von einfachen motorischen Handlungen das kreative Denken fördern!

******Die Alten Römer verrichteten auf ihren öffentlichen Toiletten tatsächlich Geschäfte, während sie sich nebeneinander sitzend erleichterten. Die Aussage „Geld stinkt nicht“ (Pecunia non olet) stammt auch aus dem Alten Rom, und bezieht sich auf eine Latrinensteuer, die von Kaiser Vespasian eingeführt wurde.

Donnerstag, 27. März 2014

A Gentleman‘s Game








Der Weg ist ein gar wunderlich Ding. Obwohl er das Ziel ist, führt er doch immer wieder nach Rom, aber niemals vorbei an dieser einen Sache…the esctasy of steel and flesh…sweat and muscle…and rage…WAR! Die Wahrheit ist, verehrter Leser, nichts führt vorbei an der unumstößlichen Wahrheit, dass die archaische Natur des Menschen der Drang ist, sich gegenseitig kräftig auf die Fresse zu haun. Und weil es auf dieser Welt einfach zu wenige Kriege gibt in denen man in seiner Freizeit einmal kurz für ein paar Stunderln partizipieren könnte, hat man über die Jahrhunderte verschiedenste Strategien entwickelt, um diesen Watschendrang / Tetschndrang* unter Kontrolle zu halten. Zu den ältesten und erfolgreichsten dieser Strategien gehört der sportliche Wettkampf. Gegeneinander die Körperkräfte messen, das ganze eingebettet  in ein gestrenges Regelkorsett, denn sonst tut sich noch einer weh und heult dann bitterlich. Nun gibt es viele Wettkämpfe dieser Art - laufen, schwimmen, boxen, fingerhakeln...für die absolute Königsklasse müssen wir aber (wieder einmal…) in die griechische Antike blicken.

Der aufgeweckte Blick erkennt: Je blutroter umso actionreicher. Aber wer hat schon Zeit und Geld um für eine schnelle Ketscherei (Schlägerei) nach Zentralafrika oder in den Nahen Osten zu latschen?!?

Nun wissen wir spätestens seit dem Jahr 2006** allesamt, dass die coolsten Killermaschinen der Antike die karmesinrotberobten Spartaner sind – aber außerhalb von SPARTAAAAA leben nicht nur Philosophen und Boylovers, so wie uns das Leonidas weismachen will. Die Küsten der Ägäis sind gespickt mit muskelbepackten Opfern des Tetschndrangs. Solange persische Watschnbaama*** im Land sprossen, war das alles kein Problem, doch irgendwann war das Land eben abgewatscht und man brauchte eine neue Beschäftigungstherapie für die Gewaltsüchtler. Vorhang auf für den großartigsten Sport aller Zeiten: Pankration!**** Die mythologischen Wurzeln dieses Sports liegen im Kampf von Herakles vs. Nemëischer Löwe und Theseus vs. Minotaurus, ohne Waffen und Skrupel. Das Wort setzt sich aus den Teilen „pan“ (alles) und kratos (Kraft) zusammen. Ein Pankratiast ist also ein Mensch, der alles kontrolliert - anything goes! Erlaubt sind Schläge, Tritte, Kniestöße, Ellenbogenstöße, Würfe, Würgegriffe im Stand sowie im Bodenkampf. Nur das Beißen, Eindrücken der Augen und malträtieren der Weichteile war verboten. Gekämpft wurde ohne Schutzkleidung und mit bloßen Händen auf lockerem Sand. Es gibt keine Punkte für Treffer oder ein anderes abstruses Wertungssystem – der Sieg führt nur über Knockout / Aufgabe / Tod des Kontrahenten. Verlierer verließen den Ring oft genug verkrüppelt. Manche Teilnehmer mussten posthum zum Sieger erklärt werden.

Pankratiasten im Bodenkampf

Pankration war eine Disziplin der Panhellenischen Spiele.***** Sieger der Spiele wurden über mehrere Generationen verehrt. Es folgen einige der meanest motherf*ckers dieses Sports. Theogenes aus Thasos ist zwanzigfacher Gewinner im Pankration. Insgesamt werden ihm 1400 Siege bescheinigt (inklusive aller einzelnen Kampfrunden). Im Faustkampf (mit Bandagen) war er 22 Jahre lang unbesiegt. Seiner Siegerstatue in Olympia wird eine heilende Kraft nachgesagt. Dioxippos aus Athen wurde 336 v. Chr. kampflos zum Sieger ernannt – alle potenziellen Gegner hatten plötzlich andere Verpflichtungen… Wenn er nicht gerade Leute im Ring auseinandernahm, machte er dasselbe auf dem Schlachtfeld im Dienste von Alexander des Großen. Die Hobbys von Polydamas aus Skotoussa waren Pankration, Löwen ohne Waffen töten und Streitwägen im vollen Galopp anhalten. Arrhichion von Phigalia verteidigte 564 v. Chr. seinen Titel erfolgreich und starb dabei. Die Kontrahenten hatten sich im gegenseitigen Würgegriff. Arrhichion wurde gerade der Brustkorb eingedrückt. Er weigerte sich aber aufzugeben, brach  stattdessen seinem Gegner den Fuß. Vor Schmerzen musste dieser aufgeben. Doch gleichzeitig erlag der Champion seinen Verletzungen - er erstickte.

Angebliche Darstellung von Theogenes aus Thasos - nachdem er jemanden im Faustkampf die Fresse aufpoliert hat

Heute findet gerade eine kleine Renaissance des stilfreien Allkampfes statt. Mixed Martial Arts ist in den USA dick da. Eine moderne Version des Pankration wird in Griechenland und Kanada (weil einige Exilgriechen) immer beliebter. Bei diesen Sportarten verzichtet man allerdings nicht auf Zahnschutz, Handschuhe und teilweise Kopfschutz – tja, früher war halt doch noch alles besser!

Das meint zumindest der hier Schreibende,
R.W.


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*Für alle, die der österreichischen Mundart nicht mächtig sind: Drang sich zu ohrfeigen. Vergleiche dazu: Jemanden eine woschn / watschn / anrauchn / kleschn / aufbrennen / wichsen / fotzn / etc.

**Ja, auch daran führt kein Weg vorbei: http://www.imdb.com/title/tt0416449/?ref_=nv_sr_2

***Ein Baum, dessen Früchte die Watschen sind. Wer daran rüttelt, benimmt sich dergestalt, dass er körperliche Bestrafung zu erbetteln scheint.

****Die Betonung liegt auf dem zweiten „a“ und das „ti“ wird nicht als Z-Laut gesprochen.

*****Bestehen aus den Olympischen, Pythischen, Nemëischen und Isthmischen Spielen.

Mittwoch, 12. März 2014

Aus, Schluss und vorbei



Nichts hält ewig, verehrter Leser und bis auf die Wurst hat alles ein Ende. Das gilt besonders für zwischenmenschliche Beziehungen. Wenn man gerade diesen speziellen Punkt im Leben erreicht hat bzw. glaubt ihn erreicht zu haben, gibt es nur noch ein großes Hindernis, das einen von seiner grenzenlosen Freiheit trennt – das Aufkündigen der gemeinsamen Liebe zueinander. Nun leben wir in einem hochtechnologisierten Medienzeitalter der totalen Vernetzung. Wir kaufen im Internet ein, bestellen Essen, schreiben geschäftliche E-Mails, gratulieren zum Geburtstag, flirten, senden digitale Blumensträuße und bezeugen unsere immerwährende Liebe. Warum sollten wir dann nicht auch über diesen elektronischen Weg Schluss machen dürfen? Per SMS / Facebook / Twitter / Instagram / Weißderkuckuck eine Beziehung beenden!? Rappelt’s dem hier Schreibenden im Kopfe? Was um Himmels willen schwatzt er denn da wieder für ungewaschenes Zeug!

Wurst mit zwei Enden

Ich verstehe deine Aufregung, verehrter Leser. Glaubt man den Umfragen und Statistiken, so verschmäht fast jeder das Schlussmachen per SMS & Co (je nach Umfrage bis zu 92 Prozent), gleichzeitig wird diese schnelle und durch Distanz konfliktvermeidende Methode aber auch sehr regelmäßig angewendet (bis zu 56 Prozent). Vor nicht allzu langer Zeit schaltete sich diesbezüglich selbst die ehrwürdige Knigge Gesellschaft, Bewahrer des vortrefflichen Benehmens, zu dieser Angelegenheit ein. Ihr Verdikt sorgte für spitze Ohren: Kein Stilbruch, sondern zeitgemäß. Nicht die Art und Weise der Trennung ist das Schlimme, sondern die Trennung an sich. Solange die Form dabei bewahrt wird, geht es absolut in Ordnung. Ein neuer Ansatz zur Lösung einer altbekannten Thematik?

"Über den Umgang mit Menschen" von Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge war eine soziologische Aufklärungsschrift. Durch Mißinterpretation der ungewaschenen Massen wurde es zu einem Benimmbuch degradiert.
 
Nein, ganz so neu ist dieser Gedanke nicht, denn mich erinnert es an die folgende Geschichte. Es lebte einmal ein Ritter, der hieß Reinhart und war Herr von Westerburg. Er ritt im Gefolge Kaiser Ludwigs. Reinhart, obwohl von schöner Gestalt, klarem Geist und einfühlsam rücksichtsvoll im emotionalen Empfinden, war nicht gefeilt vor den Problemchen mit dem schönen Geschlecht, das zu Hause auf Reinharts Anbetung wartete. So stimmte der vortreffliche Ritter eines Tages ein kleines Lied der Klage an.*

Wenn ich mir (wegen dieser Frau) den Hals würd brechen,
wer bezahlt mir dann den Schaden?

Niemand habe ich, der mich könnt rächen,
weil ich bin ohne Freund.

Wo ich mit meinem Leben bleib,
darauf muss ich selber schau‘n

Denn auf den Trost der ach so lieben Dame,
auf den kann ich nicht bau‘n.

Will sie mich nicht, die Zarte,
dann wer ich ganz schnell weiter geh’n.

Auf ihre Gefühle achte ich dann nicht,
und lasse sie im Regen steh’n.

Als das der Kaiser hörte, gab es einen gewaltigen Rüffel für Reinhart. Wie er denn da über diese Frau daherredet! Das geht ja ganz und gar nicht! Er muss das Lied zu ihren Gunsten verändern. Da versprach der brave Ritter sich zu bessern, versank in kurzer Stille und hebte sodann zu singen an.

Oh wie groß ist mein Jammer?
Ich bin ganz und gar verdrossen!
Der Grund ist eine lieblich Frau.
Etc.**

Zufrieden war da der Kaiser und sprach: „Westerburg, du hast dich sehr gebessert!“

Das Medium (Lied als SMS des Mittelalters – Konfliktvermeidung durch Distanz) blieb dasselbe. Auch die Message änderte sich nicht (öffentliches Verstoßen der Frau ist das mittelalterliche Schlussmachen). Aber nun hatte das Ganze die Form eines gesellschaftlich akzeptierten Minnelieds. Wir lernen daraus: Schon bei den wackeren Rittersleut war Medium und Message für’s Schlussmachen egal, solange die Form dabei gewahrt blieb.

Formvollendet verabschiedet sich auch der Stein des Anstoßes, bis zum nächsten Mal, küss die Hand und Cheerio.


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*Etwas freier übersetzt als sonst.
**Tatsächlich ist das Lied mit dem „etc.“ gedruckt!