Wenn
Gipsy Danger, seines Zeichens hochhaushoher Kampfroboter, mit seiner atombetriebenen
Stahlfaust titanischen Tiefseedinos eine überdimensionale Kopfnuss
verabreicht, bricht irgendwo in mir mein fünfzehnjähriges Ich in Freudentränen
aus. Natürlich sammeln sich auch in dir die Tränenpfützen, verehrter Leser,
oder aber du hast keine Ahnung warum es hier eigentlich geht. Nun gut. Ein
flashig, glitzernd ohrenbetäubender Trailer sagt mehr als siebenundzwanzig
Worte…
Regisseur
Guillermo del Toro (Pans Labyrinth, Hellboy) hat hier nicht nur einen
bildgewaltigen Actionkracher auf die Leinwand gezaubert. Pacific Rim ist offensichtlich
eine Hommage an das erste und urigste aller Tiefseeungeheuer – Godzilla*.
Ein
kurzer Dreher am Rad der Geschichte. Japan am 6. August 1945. Zum ersten Mal
wird in einem Krieg eine Atomwaffe eingesetzt. Die USA wählen Hiroshima als
Ziel für „Little Boy“ (Sprengkraft von 12.500 Tonnen TNT) – eine Stadt mit
255.000 Einwohnern, Sitz des Hauptquartiers der 2. Hauptarmee und wichtigster
Punkt: frei von amerikanischen Kriegsgefangenen. Drei Tage später wird „Fat
Man“ (Sprengkraft von 22.000 Tonnen TNT) über Nagasaki, wo 20.000 koreanische
Zwangsarbeiter in den Werften der
kaiserlichen Marine schuften, abgeworfen. Ergebnis: Über 100.000 Menschen
sterben bei den Explosionen, weitere 230.000 im Laufe der nächsten vier Monate,
Spätfolgen, die bis ins 21. Jahrhundert nachwirken und die Kapitulation eines
schwer traumatisierten Kaiserreichs am 2. September. 9 Jahre später. Japan hat
sich schnell erholt. Wirtschaft und Kultur sind lebendiger denn je. Selbst zum
einstigen Todfeind USA gibt es eine Annäherung. Ein gegenseitiges
Verteidigungsabkommen steht im Raum. Doch dann der 28. Februar. Die Amerikaner
testen auf der Insel Namu eine thermonukleare Waffe, die Sprengkraft ist 2,5
mal höher als erwartet, dann dreht auch noch der Wind überraschend, am nächsten Morgen gerät der japanische
Fischkutter Dai-go Fukuryū-maru
/ Glücklicher Drache V in den Bereich des radioaktiven Niederschlags. Die
Besatzung wird schwer verstrahlt, Aikichi Kuboyama stirbt wenige Monate später,
der Rest der Mannschaft erkrankt an Leberkrebs. In den USA wird darüber kaum berichtet.
In Japan sorgt der Vorfall natürlich für große Aufregung und alte Wunden, die
man längst verheilt glaubte, brechen wieder auf. Noch im selben Jahr kommt
Gojira / Godzilla** in die japanischen Kinos.
Am Anfang steht Zerstörung und Verwüstung, ganz
plötzlich, über Nacht geschieht es, keiner weiß so recht warum. Nur ein alter,
im Krieg versehrter Mann erinnert sich an die Geschichten – Godzilla muss
der Grund dafür sein. Von den anderen wird er verspottet. Godzilla! Das ist
doch ein Relikt aus einer längst vergessenen Zeit, ein Märchen! Später stellt
man fest - es ist tatsächlich Godzilla! Ein Atomtest hat ihn aufgeweckt und nun
zieht er eine Spur der Verwüstung hinter sich. Was kann man dagegen tun? Die
einen wollen ihn töten, die anderen streben danach herauszufinden, warum er
noch lebt. Man beschließt, Godzilla zu töten, doch der Versuch schlägt fehl. Am
Ende kann Godzilla doch noch ausgelöscht werden, durch eine Bombe mit solch
einer furchterregenden Zerstörungskraft, dass man schwört, sie nie wieder
einzusetzen.
Der Film kann als Allegorie für den Kampf gegen das
1945 erlittene Trauma verstanden werden. Das Trauma (Godzilla) wird durch den
Atomtest akut. Diese Verletzung der Psyche hat weitreichende Auswirkungen auf
das Physische und die Lebensrealität (die zerstörten Dörfer). Nur über die
Erinnerung kann der Weg zur Heilung erfolgen (der Kriegsveteran). Dabei gibt es
zwei Möglichkeiten: die traumatische Erinnerung vom Rest des Bewusstseins
abspalten (Godzilla töten)*** oder die traumatische Erinnerung gezielt bewusst
machen (Godzilla erforschen)****. Was sich im Film als Happy End verkleidet,
ist in diesem Fall ein tragisches Ende. Das bestehende Trauma wird durch ein
potenziell noch schwereres Trauma überdeckt (Godzillas Tod durch eine noch
stärkere Bombe).
Godzilla ist ein Monsterfilm, der mit, für die
damalige Zeit, großartigen Special Effects aufwarten kann. Aber es ist auch ein
Film, der vor den Gefahren der Atomenergie warnt – auch wenn sie „nur“ für
zivile Zwecke eingesetzt wird. Er kritisiert die Aktionen des Japanischen
Kaiserreichs im 2. Weltkrieg, sie haben die Katastrophe selbst
heraufbeschworen. Aber vor allem mahnt er zur Erinnerung, damit uns die Fehler
der Vergangenheit nie wieder einholen. Es sind generationenübergreifende Themen,
kein Wunder also, dass uns 2014 der nächste Godzilla Film ins Haus steht - drei
Jahre nach Fukushima, bestimmt auch kein Zufall. Aber noch ein Mal zurück zu
Pacific Rim. Auch hier ein spektakulärer Monsterfilm. Auch hier viele
Möglichkeiten der Interpretation. Bei einer davon wird man schnell stutzig: "To
fight monsters, we created monsters of our own." Eine Atomwaffe bringt
schlussendlich den Sieg über den missgestalteten sowie fremdartig denkenden
Feind und Gipsy Danger,
der letzte atombetriebene Roboter, avanciert zum großen Helden. Gelesen vor dem
Hintergrund des weltweiten Kampfs gegen den Terror und den kürzlich ans Licht
gekommenen NSA Skandalen läuft es dem hier Schreibenden kalt über den Rücken.
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*Wer
jetzt auch nur kurz an Nessie gedacht hat, wird von mir getadelt. Nessie aus Loch Ness ist ein Seeungeheuer!
**Gojira
als Kunstwort, das sich aus Gorira (Gorilla) und Kujira (Wal) zusammensetzt.
***Das
ist der Zugang von Pierre Janet, Wegbereiter der modernen Psychotherapie.
****Das
ist der Zugang von Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse.