Mittwoch, 19. Februar 2014

Go big or go extinct?



Wenn Gipsy Danger, seines Zeichens hochhaushoher Kampfroboter, mit seiner atombetriebenen Stahlfaust titanischen Tiefseedinos eine überdimensionale Kopfnuss verabreicht, bricht irgendwo in mir mein fünfzehnjähriges Ich in Freudentränen aus. Natürlich sammeln sich auch in dir die Tränenpfützen, verehrter Leser, oder aber du hast keine Ahnung warum es hier eigentlich geht. Nun gut. Ein flashig, glitzernd ohrenbetäubender Trailer sagt mehr als siebenundzwanzig Worte…


Regisseur Guillermo del Toro (Pans Labyrinth, Hellboy) hat hier nicht nur einen bildgewaltigen Actionkracher auf die Leinwand gezaubert. Pacific Rim ist offensichtlich eine Hommage an das erste und urigste aller Tiefseeungeheuer – Godzilla*.
Ein kurzer Dreher am Rad der Geschichte. Japan am 6. August 1945. Zum ersten Mal wird in einem Krieg eine Atomwaffe eingesetzt. Die USA wählen Hiroshima als Ziel für „Little Boy“ (Sprengkraft von 12.500 Tonnen TNT) – eine Stadt mit 255.000 Einwohnern, Sitz des Hauptquartiers der 2. Hauptarmee und wichtigster Punkt: frei von amerikanischen Kriegsgefangenen. Drei Tage später wird „Fat Man“ (Sprengkraft von 22.000 Tonnen TNT) über Nagasaki, wo 20.000 koreanische Zwangsarbeiter in  den Werften der kaiserlichen Marine schuften, abgeworfen. Ergebnis: Über 100.000 Menschen sterben bei den Explosionen, weitere 230.000 im Laufe der nächsten vier Monate, Spätfolgen, die bis ins 21. Jahrhundert nachwirken und die Kapitulation eines schwer traumatisierten Kaiserreichs am 2. September. 9 Jahre später. Japan hat sich schnell erholt. Wirtschaft und Kultur sind lebendiger denn je. Selbst zum einstigen Todfeind USA gibt es eine Annäherung. Ein gegenseitiges Verteidigungsabkommen steht im Raum. Doch dann der 28. Februar. Die Amerikaner testen auf der Insel Namu eine thermonukleare Waffe, die Sprengkraft ist 2,5 mal höher als erwartet, dann dreht auch noch der Wind überraschend,  am nächsten Morgen gerät der japanische Fischkutter Dai-go Fukuryū-maru / Glücklicher Drache V in den Bereich des radioaktiven Niederschlags. Die Besatzung wird schwer verstrahlt, Aikichi Kuboyama stirbt wenige Monate später, der Rest der Mannschaft erkrankt an Leberkrebs. In den USA wird darüber kaum berichtet. In Japan sorgt der Vorfall natürlich für große Aufregung und alte Wunden, die man längst verheilt glaubte, brechen wieder auf. Noch im selben Jahr kommt Gojira / Godzilla** in die japanischen Kinos.


Am Anfang steht Zerstörung und Verwüstung, ganz plötzlich, über Nacht geschieht es, keiner weiß so recht warum. Nur ein alter, im Krieg versehrter Mann erinnert sich an die Geschichten – Godzilla muss der Grund dafür sein. Von den anderen wird er verspottet. Godzilla! Das ist doch ein Relikt aus einer längst vergessenen Zeit, ein Märchen! Später stellt man fest - es ist tatsächlich Godzilla! Ein Atomtest hat ihn aufgeweckt und nun zieht er eine Spur der Verwüstung hinter sich. Was kann man dagegen tun? Die einen wollen ihn töten, die anderen streben danach herauszufinden, warum er noch lebt. Man beschließt, Godzilla zu töten, doch der Versuch schlägt fehl. Am Ende kann Godzilla doch noch ausgelöscht werden, durch eine Bombe mit solch einer furchterregenden Zerstörungskraft, dass man schwört, sie nie wieder einzusetzen.
Der Film kann als Allegorie für den Kampf gegen das 1945 erlittene Trauma verstanden werden. Das Trauma (Godzilla) wird durch den Atomtest akut. Diese Verletzung der Psyche hat weitreichende Auswirkungen auf das Physische und die Lebensrealität (die zerstörten Dörfer). Nur über die Erinnerung kann der Weg zur Heilung erfolgen (der Kriegsveteran). Dabei gibt es zwei Möglichkeiten: die traumatische Erinnerung vom Rest des Bewusstseins abspalten (Godzilla töten)*** oder die traumatische Erinnerung gezielt bewusst machen (Godzilla erforschen)****. Was sich im Film als Happy End verkleidet, ist in diesem Fall ein tragisches Ende. Das bestehende Trauma wird durch ein potenziell noch schwereres Trauma überdeckt (Godzillas Tod durch eine noch stärkere Bombe).


Godzilla ist ein Monsterfilm, der mit, für die damalige Zeit, großartigen Special Effects aufwarten kann. Aber es ist auch ein Film, der vor den Gefahren der Atomenergie warnt – auch wenn sie „nur“ für zivile Zwecke eingesetzt wird. Er kritisiert die Aktionen des Japanischen Kaiserreichs im 2. Weltkrieg, sie haben die Katastrophe selbst heraufbeschworen. Aber vor allem mahnt er zur Erinnerung, damit uns die Fehler der Vergangenheit nie wieder einholen. Es sind generationenübergreifende Themen, kein Wunder also, dass uns 2014 der nächste Godzilla Film ins Haus steht - drei Jahre nach Fukushima, bestimmt auch kein Zufall. Aber noch ein Mal zurück zu Pacific Rim. Auch hier ein spektakulärer Monsterfilm. Auch hier viele Möglichkeiten der Interpretation. Bei einer davon wird man schnell stutzig: "To fight monsters, we created monsters of our own." Eine Atomwaffe bringt schlussendlich den Sieg über den missgestalteten sowie fremdartig denkenden Feind und Gipsy Danger, der letzte atombetriebene Roboter, avanciert zum großen Helden. Gelesen vor dem Hintergrund des weltweiten Kampfs gegen den Terror und den kürzlich ans Licht gekommenen NSA Skandalen läuft es dem hier Schreibenden kalt über den Rücken.


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*Wer jetzt auch nur kurz an Nessie gedacht hat, wird von mir getadelt.  Nessie aus Loch Ness ist ein Seeungeheuer!
**Gojira als Kunstwort, das sich aus Gorira (Gorilla) und Kujira (Wal) zusammensetzt.
***Das ist der Zugang von Pierre Janet, Wegbereiter der modernen Psychotherapie.
****Das ist der Zugang von Sigmund Freud, Begründer der Psychoanalyse.

Donnerstag, 13. Februar 2014

Was für ein Theater!




Und so begab es sich, verehrter Leser, dass der hier Schreibende unlängst vom erquickenden Ambrosia dieser Menschenwelt kostete – er ging ins Theater. Das Wunderbare dieser Kunst ist gleichzeitig zutiefst verstörend, ja beinahe Furcht einflößend. Denn die Mediengrenze, diese schützende Membran, die uns erkennen lässt: das ist doch nur ein Film/Computerspiel/wasauchimmer, ist beim Theater erschreckend dünn. Hier ist alles live! Lebendige Menschen lachen, leiden, bluten und sterben vor deinem wahrhaftigen Auge. Und du könntest einfach aufstehen, sie dabei ansprechen oder anfassen. Aber du tust es nicht, weil du gelernt hast: Das ist doch „nur“ Theater! Jedenfalls saß ich gespannt wie ein Flitzebogen in meinem Sessel, verkrampfte mich in meine Armlehnen, bis endlich die ehrenwerte Schaustellerschaft die Bretter, die wasweißich bedeuten, betrat und „Amphitryon“ mit Leben erfüllte. Der gute Heinrich von Kleist schrieb dieses Stück im Sommer des Jahres 1803, orientierte sich dabei an dem gleichnamigen französischen Lustspiel*. Allerdings webte er so manch einen ernsten Gedanken hinein und schaffte eine anregende Dramödie.


Mmmmmh, Himbeer!
 
„Amphitryon“ bedient sich aus der reichhaltigen Sagenwelt der klassischen Antike. Amphitryon, thebanischer Feldherr, vertreibt sich die Zeit mit Krieg gegen Athen. Seine Frau Alkmene sitzt derweilen zu Hause und bekommt nächtlichen Besuch (zwinker, zwinker) vom allmächtigen Göttervater Jupiter/Zeus**, der Amphitryons Gestalt angenommen hat. Der echte Feldherr lässt seinen Diener Sosias nach Theben eilen, um seine Rückkehr anzukündigen. Sosias trifft überraschend auf sein Ebenbild, Götterbote Merkur/Hermes**, der ebenfalls den Gestaltwandlungstrick anwendet => totale Verwirrung und aufkommender Wahnsinn. Schließlich trifft der siegreiche Feldherr persönlich ein, erfährt durch seine Frau von der amourösen Liebesnacht, an der er angeblich teilgenommen hat => totale Verwirrung und aufkommender Wahnsinn Teil II. Es folgt eine Verwechslungskomödie der Marke Hans Moser – jeden Sonntagnachmittag im ORF konsumierbar: Falscher Amphitryon gibt Auftrag an echten Sosias (Hans Moser). Echter Sosias berichtet echtem Amphitryon von der Erfüllung des Auftrags. Echter Amphitryon gerät in Rage, weil er den Auftrag niemals gegeben hat, stellt aber den falschen Sosias zur Rede, der den echten Amphitryon nicht als diesen anerkennt undundund – you get the picture… Am Ende erfolgt die große Aufklärung: Jupiter gibt sich zu erkennen. Er hat sich an Alkmene gerächt, weil diese beim Opfer an den Göttervater ständig ihren Gatten vor dem inneren Auge hatte. Der gehörnte Amphitryon darf zur Entschädigung Ziehvater des von Jupiter gezeugten Halbgotts Herakles/Herkules** spielen (ist das nicht schön?!). Sosias/Hans Moser darf bis an sein Lebensende mit seiner kaktushaft liebenden Frau Charis zusammen bleiben. Ende gut, alles gut, tosender Applaus.




Nachdem der berechtigte Applaus verklungen ist, beginnt es langsam in meine Haut einzusickern. Denn unter der Konstruktion des heiteren Lustspiels stecken elementare Fragen und Probleme des Menschseins:

Wer oder was bin ich?
Was macht das Ich aus?
Das Ich bestimmt sich nicht nur von innen, es bestimmt sich auch durch das Außen - ohne Du, gibt es kein Ich!
Ich sein, heißt anders als die Anderen sein, Ich sein ist Abgrenzung.
Braucht das Ich Liebe zum Ich sein?
Benebelt Liebe die Sinne?
Wie gefährlich können Liebe und Leidenschaft sein?
Kann ich der (ungewollten) Liebe entkommen?
Wie soll man mit der (ungewollten) Liebe anderer umgehen?
In welcher Beziehung stehen (Liebes-)Wunsch, Wahrheit & Wirklichkeit?
Ist die individuelle Wahrheit weniger wirklich, als die kollektive Wahrheit?
Warum sind die Allmächtigen mit ihrer Allmacht nicht zufrieden?
Wirkt Macht wie eine Droge?
Wie funktioniert Macht?
Wer oder was beglaubigt Macht?
Warum kommt der Mächtige immer besser weg, als der Ohnmächtige, obwohl beiden dasselbe Leid zustößt?

Das und noch viel mehr juckt unter der Haut des hier Schreibenden and the cure for the itch was nowhere to be found.

Mmmmmh, noch mehr Himbeer!

Und so soll nun „Amphitryon“ Zeugnis sein und auch Anstoß für dich, verehrten Leser, dass du immer mit geschärftem Blick durch das Leben gehen mögest, weil in den scheinbar einfachsten Dingen oft die komplexesten Gedanken atmen.



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*Lustspiel ist die deutsche Bezeichnung der Komödie (Trauerspiel = Tragödie), mehr noch, versteht man darunter die „typisch“ deutsche und bürgerliche Art der Komödie in Abgrenzung zu italienischen und französischen Versionen.

**Die Römer haben die Mythologie der Griechen übernommen. Um Copyright Verletzungen zu verhindern, haben sie einfach die Namen ausgetauscht (welch gefinkelter Schachzug!). Der Prozess Griechen versus Römer dauert bis zum heutigen Tag an…