Und so begab es sich, verehrter Leser,
dass der hier Schreibende unlängst vom erquickenden Ambrosia dieser
Menschenwelt kostete – er ging ins Theater. Das Wunderbare dieser Kunst ist
gleichzeitig zutiefst verstörend, ja beinahe Furcht einflößend. Denn die
Mediengrenze, diese schützende Membran, die uns erkennen lässt: das ist doch nur
ein Film/Computerspiel/wasauchimmer, ist beim Theater erschreckend dünn. Hier
ist alles live! Lebendige Menschen lachen, leiden, bluten und sterben vor
deinem wahrhaftigen Auge. Und du könntest einfach aufstehen, sie dabei
ansprechen oder anfassen. Aber du tust es nicht, weil du gelernt hast: Das ist
doch „nur“ Theater! Jedenfalls saß ich gespannt wie ein Flitzebogen in meinem
Sessel, verkrampfte mich in meine Armlehnen, bis endlich die ehrenwerte
Schaustellerschaft die Bretter, die wasweißich bedeuten, betrat und
„Amphitryon“ mit Leben erfüllte. Der gute Heinrich von Kleist schrieb dieses
Stück im Sommer des Jahres 1803, orientierte sich dabei an dem gleichnamigen
französischen Lustspiel*. Allerdings webte er so manch einen ernsten Gedanken
hinein und schaffte eine anregende Dramödie.
Mmmmmh, Himbeer! |
„Amphitryon“ bedient sich aus der
reichhaltigen Sagenwelt der klassischen Antike. Amphitryon, thebanischer
Feldherr, vertreibt sich die Zeit mit Krieg gegen Athen. Seine Frau Alkmene sitzt
derweilen zu Hause und bekommt nächtlichen Besuch (zwinker, zwinker) vom
allmächtigen Göttervater Jupiter/Zeus**, der Amphitryons Gestalt angenommen
hat. Der echte Feldherr lässt seinen Diener Sosias nach Theben eilen, um seine
Rückkehr anzukündigen. Sosias trifft überraschend auf sein Ebenbild, Götterbote
Merkur/Hermes**, der ebenfalls den Gestaltwandlungstrick anwendet => totale
Verwirrung und aufkommender Wahnsinn. Schließlich trifft der siegreiche
Feldherr persönlich ein, erfährt durch seine Frau von der amourösen
Liebesnacht, an der er angeblich teilgenommen hat => totale Verwirrung und
aufkommender Wahnsinn Teil II. Es folgt eine Verwechslungskomödie der Marke
Hans Moser – jeden Sonntagnachmittag im ORF konsumierbar: Falscher Amphitryon
gibt Auftrag an echten Sosias (Hans Moser). Echter Sosias berichtet echtem
Amphitryon von der Erfüllung des Auftrags. Echter Amphitryon gerät in Rage,
weil er den Auftrag niemals gegeben hat, stellt aber den falschen Sosias zur
Rede, der den echten Amphitryon nicht als diesen anerkennt undundund – you get
the picture… Am Ende erfolgt die große Aufklärung: Jupiter gibt sich zu
erkennen. Er hat sich an Alkmene gerächt, weil diese beim Opfer an den
Göttervater ständig ihren Gatten vor dem inneren Auge hatte. Der gehörnte
Amphitryon darf zur Entschädigung Ziehvater des von Jupiter gezeugten
Halbgotts Herakles/Herkules** spielen (ist das nicht schön?!). Sosias/Hans
Moser darf bis an sein Lebensende mit seiner kaktushaft liebenden Frau Charis zusammen
bleiben. Ende gut, alles gut, tosender Applaus.
Nachdem der berechtigte Applaus
verklungen ist, beginnt es langsam in meine Haut einzusickern. Denn unter der
Konstruktion des heiteren Lustspiels stecken elementare Fragen und Probleme des
Menschseins:
Wer oder was bin ich?
Was macht das Ich aus?
Das Ich bestimmt sich nicht nur von
innen, es bestimmt sich auch durch das Außen - ohne Du, gibt es kein Ich!
Ich sein, heißt anders als die Anderen
sein, Ich sein ist Abgrenzung.
Braucht das Ich Liebe zum Ich sein?
Benebelt Liebe die Sinne?
Wie gefährlich können Liebe und
Leidenschaft sein?
Kann ich der (ungewollten) Liebe
entkommen?
Wie soll man mit der (ungewollten) Liebe
anderer umgehen?
In welcher Beziehung stehen (Liebes-)Wunsch,
Wahrheit & Wirklichkeit?
Ist die individuelle Wahrheit weniger
wirklich, als die kollektive Wahrheit?
Warum sind die Allmächtigen mit ihrer
Allmacht nicht zufrieden?
Wirkt Macht wie eine Droge?
Wie funktioniert Macht?
Wer oder was beglaubigt Macht?
Warum kommt der Mächtige immer besser
weg, als der Ohnmächtige, obwohl beiden dasselbe Leid zustößt?
Das und noch viel mehr juckt unter der
Haut des hier Schreibenden and the cure for the itch was nowhere to be found.
Mmmmmh, noch mehr Himbeer! |
Und so soll nun „Amphitryon“ Zeugnis sein
und auch Anstoß für dich, verehrten Leser, dass du immer mit geschärftem Blick
durch das Leben gehen mögest, weil in den scheinbar einfachsten Dingen oft die
komplexesten Gedanken atmen.
*Lustspiel ist die deutsche Bezeichnung
der Komödie (Trauerspiel = Tragödie), mehr noch, versteht man darunter die
„typisch“ deutsche und bürgerliche Art der Komödie in Abgrenzung zu
italienischen und französischen Versionen.
**Die Römer haben die Mythologie der
Griechen übernommen. Um Copyright Verletzungen zu verhindern, haben sie einfach die
Namen ausgetauscht (welch gefinkelter Schachzug!). Der Prozess Griechen versus
Römer dauert bis zum heutigen Tag an…
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