Donnerstag, 13. Februar 2014

Was für ein Theater!




Und so begab es sich, verehrter Leser, dass der hier Schreibende unlängst vom erquickenden Ambrosia dieser Menschenwelt kostete – er ging ins Theater. Das Wunderbare dieser Kunst ist gleichzeitig zutiefst verstörend, ja beinahe Furcht einflößend. Denn die Mediengrenze, diese schützende Membran, die uns erkennen lässt: das ist doch nur ein Film/Computerspiel/wasauchimmer, ist beim Theater erschreckend dünn. Hier ist alles live! Lebendige Menschen lachen, leiden, bluten und sterben vor deinem wahrhaftigen Auge. Und du könntest einfach aufstehen, sie dabei ansprechen oder anfassen. Aber du tust es nicht, weil du gelernt hast: Das ist doch „nur“ Theater! Jedenfalls saß ich gespannt wie ein Flitzebogen in meinem Sessel, verkrampfte mich in meine Armlehnen, bis endlich die ehrenwerte Schaustellerschaft die Bretter, die wasweißich bedeuten, betrat und „Amphitryon“ mit Leben erfüllte. Der gute Heinrich von Kleist schrieb dieses Stück im Sommer des Jahres 1803, orientierte sich dabei an dem gleichnamigen französischen Lustspiel*. Allerdings webte er so manch einen ernsten Gedanken hinein und schaffte eine anregende Dramödie.


Mmmmmh, Himbeer!
 
„Amphitryon“ bedient sich aus der reichhaltigen Sagenwelt der klassischen Antike. Amphitryon, thebanischer Feldherr, vertreibt sich die Zeit mit Krieg gegen Athen. Seine Frau Alkmene sitzt derweilen zu Hause und bekommt nächtlichen Besuch (zwinker, zwinker) vom allmächtigen Göttervater Jupiter/Zeus**, der Amphitryons Gestalt angenommen hat. Der echte Feldherr lässt seinen Diener Sosias nach Theben eilen, um seine Rückkehr anzukündigen. Sosias trifft überraschend auf sein Ebenbild, Götterbote Merkur/Hermes**, der ebenfalls den Gestaltwandlungstrick anwendet => totale Verwirrung und aufkommender Wahnsinn. Schließlich trifft der siegreiche Feldherr persönlich ein, erfährt durch seine Frau von der amourösen Liebesnacht, an der er angeblich teilgenommen hat => totale Verwirrung und aufkommender Wahnsinn Teil II. Es folgt eine Verwechslungskomödie der Marke Hans Moser – jeden Sonntagnachmittag im ORF konsumierbar: Falscher Amphitryon gibt Auftrag an echten Sosias (Hans Moser). Echter Sosias berichtet echtem Amphitryon von der Erfüllung des Auftrags. Echter Amphitryon gerät in Rage, weil er den Auftrag niemals gegeben hat, stellt aber den falschen Sosias zur Rede, der den echten Amphitryon nicht als diesen anerkennt undundund – you get the picture… Am Ende erfolgt die große Aufklärung: Jupiter gibt sich zu erkennen. Er hat sich an Alkmene gerächt, weil diese beim Opfer an den Göttervater ständig ihren Gatten vor dem inneren Auge hatte. Der gehörnte Amphitryon darf zur Entschädigung Ziehvater des von Jupiter gezeugten Halbgotts Herakles/Herkules** spielen (ist das nicht schön?!). Sosias/Hans Moser darf bis an sein Lebensende mit seiner kaktushaft liebenden Frau Charis zusammen bleiben. Ende gut, alles gut, tosender Applaus.




Nachdem der berechtigte Applaus verklungen ist, beginnt es langsam in meine Haut einzusickern. Denn unter der Konstruktion des heiteren Lustspiels stecken elementare Fragen und Probleme des Menschseins:

Wer oder was bin ich?
Was macht das Ich aus?
Das Ich bestimmt sich nicht nur von innen, es bestimmt sich auch durch das Außen - ohne Du, gibt es kein Ich!
Ich sein, heißt anders als die Anderen sein, Ich sein ist Abgrenzung.
Braucht das Ich Liebe zum Ich sein?
Benebelt Liebe die Sinne?
Wie gefährlich können Liebe und Leidenschaft sein?
Kann ich der (ungewollten) Liebe entkommen?
Wie soll man mit der (ungewollten) Liebe anderer umgehen?
In welcher Beziehung stehen (Liebes-)Wunsch, Wahrheit & Wirklichkeit?
Ist die individuelle Wahrheit weniger wirklich, als die kollektive Wahrheit?
Warum sind die Allmächtigen mit ihrer Allmacht nicht zufrieden?
Wirkt Macht wie eine Droge?
Wie funktioniert Macht?
Wer oder was beglaubigt Macht?
Warum kommt der Mächtige immer besser weg, als der Ohnmächtige, obwohl beiden dasselbe Leid zustößt?

Das und noch viel mehr juckt unter der Haut des hier Schreibenden and the cure for the itch was nowhere to be found.

Mmmmmh, noch mehr Himbeer!

Und so soll nun „Amphitryon“ Zeugnis sein und auch Anstoß für dich, verehrten Leser, dass du immer mit geschärftem Blick durch das Leben gehen mögest, weil in den scheinbar einfachsten Dingen oft die komplexesten Gedanken atmen.



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*Lustspiel ist die deutsche Bezeichnung der Komödie (Trauerspiel = Tragödie), mehr noch, versteht man darunter die „typisch“ deutsche und bürgerliche Art der Komödie in Abgrenzung zu italienischen und französischen Versionen.

**Die Römer haben die Mythologie der Griechen übernommen. Um Copyright Verletzungen zu verhindern, haben sie einfach die Namen ausgetauscht (welch gefinkelter Schachzug!). Der Prozess Griechen versus Römer dauert bis zum heutigen Tag an…

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