Verehrter Leser, ich war stets
leidenschaftlicher Autofahrer. Nichts geht über das leise Grollen des Motors,
geduldig wartend, die sanfte Betätigung des Gaspedals lässt einem die Energie
spüren, die in die Maschine gepumpt wird, die Musik scheppert basslos aus den
Boxen und das Lenkrad aus Lederimitat gleitet in kurvenreichen Fahrpassagen
sanft durch die Hände.
Seit ich in der Innenstadt wohne, bin
ich auf das Fahrrad umgesattelt und seit sie mir selbiges gestohlen haben, bin
ich gezwungenermaßen zum Busfahrer geworden.* Die Benützung öffentlicher
Verkehrsmittel erzeugt in mir jedoch einen Zustand der Unbehaglichkeit.
Hauptgründe dafür sind:
+) zu viele Menschen
+) zu viele Menschen, die ich nicht
kenne
+) zu viele Menschen, die ich nicht
kennenlernen will
+) zu viele Menschen, die mir verdammt
nochmal auf die Pelle** rücken
Neulich musste ich in einem Zug Platz
nehmen – und siehe da, gar nicht mal so unangenehm! Bequeme Sitze, leiser als
ein Bus, kann man aushalten, den vielen Menschen zum Trotz. Aber dann!
Plötzlich wird mir schlagartig bewusst, dass jeder Fahrgast in meiner näheren
Umgebung seine Schuhe ausgezogen hat! Socken! Überall Socken! Vor mir, auf dem
Sitz neben mir und bei der angrenzenden Sitzgarnitur dasselbe Bild…
Unsere Mütter haben uns beigebracht,
stets frische Unterwäsche und lochfreie Socken anzuziehen – man könnte ja in
einen Unfall geraten und dann würden ALLE
Menschen, die bei Erstversorgung, Rettungseinsatz und Krankenhauseinlieferung
anwesend sind, einen gezielten Blick auf mögliche Bremsspuren und Sockensiebe
werfen können!
Verehrter Leser, der hier Schreibende
ekelt sich nicht vor Socken, nein. Aber er gibt die eigenen prinzipiell nur in
Schuhgeschäften öffentlich preis. Auch wenn er den Rat seiner Mutter beherzigt,
fühlt er sich nicht dazu genötigt, das auch Jedem vor die Nase zu halten. Ist
eine demonstrative Darbietung der eigenen Socken gegenüber Unbeteiligten
wirklich nötig?
Ein immer noch schwer verstörter,
R.W.
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*Weil schon jemand gefragt hat:
gemeint ist natürlich in passiver Rolle, als Mitfahrer.
**Das Wort kommt übrigens von lat.
pellis – die Haut/das Fell.
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